Buchbesprechungen

Christian Füllers: Sündenfall
Eine gute journalistische Arbeit über den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule, die historische und gegenwärtige Aspekte gelungen miteinander verbindet. Füller schreibt als Außenstehender, der auf berührende Weise die Betroffenen in seinem Werk einbindet. Im Vorwort reflektiert er kritisch die eigenen Versäumnisse als Medienprofi und gibt anschließend den Betroffenen für den Auftakt das Wort. So stellt er sein Buch als Sprachrohr für die Betroffenen zur Verfügung. Nach dieser Einführung in das Thema zeigt Füller, dass er recherchieren kann. Er gibt den Ereignissen ihren Raum und zeichnet ein Bild der Odenwaldschule, das sich an der Realität der Schüler orientiert und nicht an den Phantasien der Pädagogen.

Jürgen Dehmers: Wie laut soll ich denn noch schreien
Die Autobiographie des Ex-Odenwaldschülers Dehmers spricht eine klare Sprache. Ohne Schnörkel, aber mit einem eigenen Stil und einem erleichternden Humor erzählt Dehmers seine Geschichte vom Missbrauch im Odenwald. Klar, empathisch und verständlich beschreibt er das System, dass diesen Wahnsinn möglich gemacht hat, seine eigene Traumatisierung und den Weg, den er gegangen ist, um sich von dieser Kindheit zu befreien. Eine Lebensgeschichte, die in ihrer ganzen Schrecklichkeit dargestellt wird, die aber auch eine Geschichte der Genesung und des Heilwerdens ist. Am Ende ist nicht alles gut, aber vieles anders.

Tilmann Jens: Freiwild
Er hat als Altschüler versucht, eine Streitschrift zu schreiben. Getrieben von Nostalgie begibt er sich dabei auf ein abschüssiges Gelände. Denn seine an Beispielen orientierte induktive Methode hinterlässt einen schal-bitteren Geschmack beim Leser. Der Text ist gekennzeichnet durch eine in der Verwendung von Adjektiven verräterische Sprache mit bunten Bildern von Tätern und einer flachen Charakterisierung von Betroffenen. Er verwechselt den von Haupttätern nach außen geschaffenen Schein mit ihrem Ich. Er bedenkt nicht, dass die wohlgesetzten Worte von Gerold Becker zur Pädagogik auch jenseits der sexuellen Gewalt möglicherweise keine Entsprechung in einer entwicklungsgerechten pädagogischen Praxis hatten. Maßstab ist hier sein eigener Erfahrungshorizont als junger Erwachsener an der Schule. Man spürt: Er hat zur menschlichen Dimension der individuellen Katastrophen und den Betroffenen keinen Zugang gefunden.

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