Was für die Betroffenen so schwierig ist an Brückenbauen

I. Herabwürdigung zum Fürsorgeempfänger

Eigentlich sollte es eine erfreuliche Botschaft sein: die Odenwaldschule zahlt 250.000 € in ihre Opferstiftung Brückenbauen. Damit „verfüge die Stiftung nun über insgesamt 350.000 €, die ab sofort zur Auszahlung an die Mißbrauchsopfer bereit stünden, die an der Schule sexuell gequält und gedemütigt wurden.“ Fünf Opfer hätten sich bereits gemeldet. Eines habe eine Sofortzahlung von 1.000,- € erhalten. So die Presse. Denn ausschließlich über diese erfahren Opfer und  Glasbrechen e.V. Genaueres dazu, was zugeteilt werden wird.
Was diese Nachricht dennoch bitter macht: Konzept und unselbständige Stiftung wurden vom Odenwaldschule e.V. und dem Altschülerverein ohne jeden echten Dialog mit den Betroffenen inthronisiert. Die Handelnden in den Vereinsvorständen auf Seiten der Schule haben jeden Dialogversuch hintertrieben, Zusagen für Gespräche gebrochen, gegenüber Dritten die organisierten Betroffenen geschickt vilifiziert und so systematisch eine Auseinandersetzung über deren wirklichen Bedürfnisse vermieden.
Wo ist in all diesen Nachrichten, die letztlich ausschließlich aus der Odenwaldschule stammen, die authentische Empathie für die Opfer, wenigstens ein Anflug von Mitempfinden für die jahrelang erlittenen Qualen und Demütigungen mit ihren lebenslangen Folgen für die Betroffenen? Wo ist die als wahrhaftig empfundene Haltung?
Ohne eine Erkennbarkeit dieses Mitgefühls in den Taten und in den Worten wird jedwede Zahlung hohl, wirkungslos, beschämend und verletzend. Es reicht nämlich nicht, Worte wie „Empathie“ als Worthülse zu gebrauchen, wenn die dazu gehörende innere Haltung fehlt. Es wird viel über Geld gesprochen, weil ja heute alles in Geld aufgewogen wird. Das verengt den Blick auf die Bedürfnisse der Betroffenen. Letztlich ist Geld nur ein Symbol, das seinen spezifischen Wert allein in einem bedeutungsgebenden Kontext gewinnen kann.
Für die Täter waren die Betroffenen Objekt der Begierde. Für die Täterorganisation und ihre Hilfstruppen sind sie augenscheinlich nur Objekt oder – schlimmer – ein Stein auf dem Wege der Lösung des Problems, das die Rehabilitation der durch die Vergangenheit kompromittierten Schule in den Augen der Öffentlichkeit darstellt. Kurz: Es geht um das Gedeihen der Schule und nicht um die Opfer. Wie auch in der Vergangenheit sind sie dem Schulinteresse nachrangig. Wenn enervierte Opfer öffentlich nicht mehr bereit sind, ihre Interessen unterordnen zu lassen, muss es also nicht Wunder nehmen, dass dies als Sakrileg gegen die Odenwaldschule als Totem (i.S.v. E. Durkheim) von Altschülern und gewissen pädagogischen Kreisen empfunden und entsprechend emotional und unnachsichtig angegriffen wird – wegen der beobachtenden Öffentlichkeit natürlich hinter der vorgehaltenen Hand.
Dabei kann jeder der will wissen, dass gerade diese Haltung die Schule sakrosankt machte und so alles unterdrückte, was den Taten Einhalt geboten oder eine frühzeitige Aufklärung ermöglicht hätte. Jetzt versinkt auch noch die menschliche Aufarbeitung in diesem Sumpf. Mit aufgeklärter Intellektualität haben diese archaischen Verhaltensmuster nichts zu tun, auch wenn sie deren Sprache usurpieren.

II. Der Mangel an Einfühlungsvermögen zeigt sich im Handwerklichen

Dinge, die für Betroffene im Verhältnis zu Brückenbauen von ausschlaggebender Bedeutung aber unerklärt sind: Dialog auf Augenhöhe, Respekt, auch wenn man den Rücken gekehrt hat, Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit, die durch Wort und Handeln vermittelt werden. Betroffene haben nicht gleich sichtbare, aber lebenslange seelische Narben, die längst nicht verheilt sind. Deshalb ist größtmögliche und überzeugte Behutsamkeit notwendig – und Großherzigkeit.
Nach dieser Behutsamkeit sucht man schon zu Beginn einer Kontaktaufnahme in dem Antragsformular vergeblich, das die Stiftung entwickelt hat und ohne das nach vorliegenden Informationen eine Bearbeitung nicht aufgenommen wird; und zwar erneut konzipiert, ohne jeden Versuch der Abstimmung oder eines direkten Gesprächs mit den Betroffenen. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, hier wird etwas abgewickelt, was man möglichst schnell erledigt haben will, über die Empfindungen der Betroffenen hinweg.
Nachdem Brückenbauen Betroffene nie nach ihren Bedürfnissen oder Vorschlägen gefragt hat, ist vieles unklar. Die Webseite und der Antragsbogen erklären vieles nicht, was von Bedeutung ist:

  1. Wie wird mit den Angaben zum Tatgeschehen umgegangen, deren Schilderung ihnen Jahrzehnte unmöglich war und auch heute noch die Qualen immer wieder erneuert?
  2. Wie steht es um Verschwiegenheit, Vertraulichkeit, Datensicherheit?
    Da genügt nicht die Benutzung dieser Worte, es müssen Fakten dazu mitgeteilt werden – vor allem zu den Abläufen im Einzelnen und den Schutzvorkehrungen.
  3. Wie ist der Wortlaut der im Formular angesprochenen Verschwiegenheitsverpflichtung der Entscheider  bei Brückenbauen? Wem gegenüber wurde sie abgegeben? Begründet sie Pflichten gegenüber jeder und jedem Betroffenen?

Dazu das Antragsformular:
Es wird eine Genehmigung verlangt zur Speicherung und Verarbeitung der Auskünfte sowie deren im Rahmen der Bearbeitung des Antrags notwendigen Weitergabe an und Verarbeitung durch Dritte, die ihrerseits der Schweigepflicht unterliegen. Wer aber sind diese nur anhand eines Beispiels genannten, sonst unbestimmten Dritten? Was bedeutet „notwendige“ Weitergabe? Ein Anliegen, das für zahlreichen Betroffenen eine fast unüberwindbare Hürde errichtet, einen Antrag zu stellen. Sie möchten wissen, an wen was wann zu welchem Zweck genau weitergegeben wird, wo es doch um Intimstes geht. Da hilft es auch nicht, dass die Dritten einer Schweigepflicht unterliegen sollen; zumal deren rechtlicher Umfang offen bleiben. Zum Verfahren im Übrigen auch kein Wort.
Es wird weiter verlangt, der Antragsteller solle sich verpflichten, Organisationen oder Vereine die Kenntnisse über das Betroffensein haben von der Verpflichtung zur Wahrung der Verschwiegenheit zu entbinden. Das bedeutet eine Pflicht zur Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber einer für Betroffene bei Antragstellung nicht unüberschaubaren Menge von Personen, Institutionen usw., auch gegenüber Glasbrechen e.V.  und seinen Mitgliedern, denen sie oft unter Schmerzen und mit der Bitte um absolute Vertraulichkeit das Geschehen offenbart haben, das ihre Seelen und oft auch ihr Leben zerstört hat. Zum Verfahren im Übrigen auch kein Wort, insbesondere nicht dazu, was Brückenbauen die Dritten zu ihrem Intimsten fragen will.
Auch dies eine fast unüberbrückbare psychologische Hürde für Betroffene, einen Antrag bei Brückenbauen zu stellen und sich deren geplanter Vorgehensweise zu unterwerfen.
Für die Schilderung der Taten und für ihre Folgen, sind schließlich jeweils drei Zeilen vorgesehen. Eine Unbedachtheit? Jedenfalls schmerzt es jeden, dem sexueller Missbrauch widerfahren ist.
Es fehlt so viel in diesem Antragsformular, auch ein irgendwie erkennbares Vertrauen in die Integrität der Betroffenen. Erkennbar will sich Brückenbauen durch ein verwaltungsmäßiges Verfahren absichern. Wie Brückenbauen die Betroffenen gegen weitere Verletzungen im Umgang absichern will, bleibt trotz der schönen Worte in der Einleitung des Formulars offen.
Demgegenüber im Internet: Ein Foto für die Presse, zwei glücklich lächelnde Gesichter, ein großformatiger Scheck in ihrer Hand – 250.000 Euro von der Schule an die Stiftung Brückenbauen.-. Das macht nachdenklich: geht es hier um ein Sühnezeichen und die authentische – also innerlich vollzogene – Anerkennung unendlichen Leides oder um die Darstellung des Ergebnisses einer Spendengala?
Dabei wäre es ganz einfach gewesen: Eine freundliche Einladung an jede(n) Betroffene(n) um den Stiftungstreuhänder und die Beiräte kennenzulernen. Dabei hätte man dann vorstellen und darüber sprechen können, wie alles gehen soll und was erhofft wird. Die Chance ist nun vertan.
Denn Zeit hatte der Stiftungstreuhänder augenscheinlich nur für Termine mit den Vertretern der Odenwaldschule, der Presse und maßgebenden Personen aus der Öffentlichkeit, wie Landtagspolitikern.
Man tut seine Schuldigkeit, redet darüber und die Presse gibt es wieder. Es fragt sich, für wen der Stiftungstreuhänder und seine Beiräten tätig sind – die Opfer oder die Schule. Das ist auch eine Haltungsfrage. Wem gegenüber tun sie ihre Schuldigkeit?

Glasbrechen e.V. zieht damit folgendes Fazit: Die Odenwaldschule und ihre Stiftung Brückenbauen haben bislang nicht ermessen, mit welchen Verwüstungen sie zu tun haben und was die Bedürfnisse der Betroffenen sind. Diese fühlen sich als mit leeren Worten abgespeist und trotz der anerkannten augenscheinlichen Anstrengungen, Geld herbeizukarren, durch die Umgangsformen neuerlich zu Objekten degradiert.

Die Zeiten der Opfervereinzelung und widerspruchslosen Hinnahme sind freilich vorbei.

19. Dezember 2011
Glasbrechen e.V.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentare sind geschlossen.