Das Libretto zum SPIEGEL-Interview in voller Länge

(Spiegel Nr. 14, 2014, S. 50-51)

• Der BGH-Richter Thomas Fischer forderte kürzlich in einem meiner Ansicht nach höchst problematischen Text für eine deutsche Wochenzeitung, mündige Bürger, also Teilnehmer an dem Diskurs um das Edathy-Problem mögen bitte schön der Presse auch erstmal ihre eigenen wörtlich „Wichsvorlagen“ zeigen. Ich tue das hiermit gerne. Kommen Sie mit: Jock Sturges hängt mit einem Mädchenportrait in meinem Haus neben einer Photographie von Santo D’Orazio, das den alternden Keith Richards – ebenfalls als Halbakt – zeigt. Beides ist Kunst – und hier ein Beitrag zu einer Diskussion zwischen Jugend und Alter, zwischen Schönheit und Vergänglichkeit, wie sie tatsächlich in der Kunstgeschichte seit mehr als fünfhundert Jahren geführt wird. Diese Kunst hängt in Museen, wird von Galeristen verkauft und nicht im Internet auf schmuddeligen Homepages oder in Pädo-Foren angeboten. Bei beiden dieser Photographien handelt es sich eben nicht um Wichsvorlagen, obwohl sie nackte Menschen zeigen. Hier zeigt sich beides: Freiheit und Moral der Kunst. Und das macht den entscheidenden Unterschied.

• Die Äußerungen des amtierenden Präsidenten der Akademie der Künste, der die Arbeiten von Rembrandt und Caravaggio in den Bereich des pädosexuellen Bildermissbrauchs rückt, bedarf eigentlich keiner Kommentierung. Ich sage dazu dennoch in aller gebotenen Schärfe: hier handelt es sich ganz augenfällig um eine Mischung aus Altersinfantilität und Nonsens. Übrigens ist Staeck Mitglied der sog. „Humanistischen Union“, einem sehr fragwürdigen pseudodemokratischen Zirkel, in dem immer noch auch Hartmut von Hentig seine Heimat findet, ebenso wie Antje Vollmer, die beide sich in Sachen Verharmlosung von pädosexuellen Verbrechen öffentlich hervor getan haben. Adolph Muschg, dem eben dies u.a. von mir auch vorgeworfen werden muss, ist übrigens ebenfalls Mitglied der Akademie der Künste und war – wenn mich nicht alles täuscht – deren vormaliger Präsident…
Ein mächtiges Heer von Verniedlichern, wenn nicht Vertuschern – in öffentlichen Ämtern!

• Ich frage Sie bewusst provokant: ist Edathy – der mir übrigens gleichermassen persönlich leid wie persönlich weh tut, – ist dieser schreckliche Edathy vielleicht sogar ein Glücksfall für die Sache der Prävention in Sachen Kindesmissbrauch und Gesetzesverschärfung? Erreichen wir Opfer pädosexueller Gewalt damit mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit? Es könnte so sein. Und dennoch? Musste diese Öffentlichkeitsarbeit für Herrn Edathy in dieser Form sein? Musste der Artikel von Herrn Fleischhauer sein. Ein opferverachtender Artikel. Ein Täterschutz-Artikel.

• Wir fordern sehr entschieden und gegen alle Einreden aus den Rechtswissenschaften: Verschärfung des Paragraphen 184b – an deren Schluss- und Beschlussfassung Herr E. übrigens im November 2008 offenbar entscheidend mitgearbeitet hat. Edathy selbst hat sich ganz offensichtlich seine Schlupflöcher selbst per Gesetz mitorganisiert. Er kennt sich da aus.

• Wir fordern nach wie vor: weiterführende Veränderung der Verjährungsfristen bzgl. Kindesmissbrauchs im Strafrecht und der Opferrechte in Gerichtsverfahren – wir fordern hier verbesserten Opferschutz. Die Veränderungen in zivilrechtlichen Verfahren befürworten wir ausdrücklich.

• Wir fordern: Strafverschärfung für Erstellung, Tausch, Handel und Konsum von kinderpornographischem Material – wobei auch dieses Wort in die Irre führt. Porna bedeutet im Griechischen Hure. Kinder aber sind weder Huren noch Stricher, Kinder sind unschuldig und werden von Erwachsenen zum Objekt gemacht. Ihre Würde wird verletzt, ihre Ehre beschmutzt, ihre Unschuld ausgenutzt und damit ihre Möglichkeit zur Führung eines eigenständigen, sich selbst sicheren Lebens im höchsten Masse beeinträchtigt.

• Kindesmissbrauch ist Seelenmord.

• Für uns Opfer päderastischer Verbrechen darf es keine Unterscheidung mehr geben zwischen den Stufen II und I. Jedes pädosexuell aufgeladene Bild- und Textmaterial, jeder Film und jedes Filmchen, das diesbezüglich auch nur ansatzweise als Phantasieanreicherung gebraucht werden könnte, darf nicht mehr straffrei hergestellt, gehandelt oder besessen werden. Nirgendwo.

• Mir ist es vollkommen egal, ob die Geschlechtsteile der missbrauchten Kinder hervorgehoben werden oder ob nicht. Eine solche Unterscheidung ist vollkommen sinnfrei und bringt – das nur am Rande – auch die ermittelnden Behörden sinnlos in Schwierigkeiten. Ich fragte mich, bevor ich es wusste, wer auf eine solche Unterscheidungsproblematik Wert legen wollte.
Es geht um die gesellschaftliche Sanktionierung jedes pädosexuell aufgeladenen Bildes. Es geht um das Ende der missbräuchlichen Geilheit im Anblick von Kindern!!!

• Selbstverständlich kommen mir die Persönlichkeitsrechte der Kinder – weltweit übrigens, denn wir haben es jetzt mit einem verschärften weltweiten Problem zu tun – gegenüber den Täterrechten schon wieder einmal viel zur kurz. Allmählich, seit einer Woche ungefähr, scheint sich die Stimmung allerdings zu wandeln. Ich verweise ausdrücklich auf einige Artikel in der FAZ diesbezüglich.

• Da fordert zum Beispiel eine Rechtswissenschaftlerin, dass der Schutz der Privatsphäre (Schutz der eigenen vier Wände), also die Vertraulichkeit der Wohnung, jetzt eben MOBIL werden müsste. Auf den ersten Blick liest sich das vielleicht wie ein Plädoyer für alle Freiheiten im Netz. Auf den zweiten Blick aber ist festzustellen, dass es um die Kontrolle des Erhalts der Privatsphäre der potentiellen Kindesmissbrauchsopfer – also um den Schutz der unzähligen, abertausenden machtlosen und sprachlosen Kinder geht. Auch und gerade im weltweiten Netz, wo die Kleinen eben nicht durch die Maschen der Fänger schlüpfen (können).

• Der Schutz von Kinderrechten ist per se eine Aufgabe des Staates, ist seine Aufgabe, eben weil Kinder selbst ihren Schutz nicht übernehmen können. Hat sich eigentlich ‚Mutti‘ schon mal dazu geäußert?

• Der SPIEGEL hat dankenswerterweise eine sehr eindrucksvolle Reportage über den Missbrauch von Kindern durch deren eigene Eltern auf der philippinischen Insel Cebu recherchiert (11/2014). Hier geht es um eine Form von www- oder auch Cyber-Prostitution. Der Titel der Reportage: Hello Mister. Unweigerlich musste ich denken: Hello Mister Edathy. Wissend, dass dieser sich sein Material in Kanada besorgte, wissend, dass das Material aus Rumänien stammt. Wissend, dass es immer die ärmsten Regionen unserer Erde sind, in denen inkriminiertes Material entsteht. (Eine Frage auch von Entwicklungshilfe!!!)

• Edathy kein Pädophiler! Sagt er selbst. Ha! Mein Stichwort! Pädophilie meint nämlich im Wortsinn Kinder- resp. Knabenliebe. Dieses Wort ist wie Falschgeld im Umlauf. Es trifft bestenfalls zu auf Hartmut von Hentigs Dilemma, mit seiner „Nähe zum Kind“. Die von uns gemeinten waren und sind tatsächlich keine „Pädophilen“. Auch Edathy nicht. Wir haben es bei jenen, die Kinder welchen Alters und welcher Hautfarbe, wo und in welchem Bekleidungszustand auch immer zur eigenen Erregung betrachten, mit Pädosexuellen zu tun. Jene, die Kinder dann auch noch missbrauchen, immer hierarchisch, immer von oben nach unten, immer herrschaftlich und immer brutal, jene nennt unsereins Päderasten. (Und wir bezeichnen uns inzwischen leidvoll als Menschen vom Fach.)

• In aller Regel berufen sich alle drei Konsortengruppen auf das Antike Griechenland. Auf der Odenwaldschule kursierten zu meinen Zeiten bei den Herren Held, Becker und Willier s/w-Bilder von ‚langschwänzigen‘ Kindern und Jugendlichen aus Sizilien und Griechenland. Sie wurden uns schamlos gezeigt, offenbar um uns anzufixen. Auch, um uns erneut zu Mitwissern zu machen… Sie standen vor antiken Ruinen. War das Kunst?

• Stichwort: „Kein Täter werden“. Gerold Ummo Becker wurde bekanntlich auf seine „Neigung“ angesprochen, und gebeten, eine Therapie zu machen. Seine Antwort darauf: ich bin nicht therapierbar. Ich mache Schlafkuren. Wörtlich! So seine Antwort. Ich persönlich glaube also nicht, dass Pädosexuelle in ihrer Mehrheit therapierbar sind. Mal abgesehen davon, dass dafür viel zu wenige Anlaufstellen zur Verfügung stehen. Der Ansatz von Herrn Prof. Baier ist ehrenwert – er kann allerdings nicht über die fortwährenden Gefahren hinwegtäuschen. Und: es gibt mehr als sieben Millionen Opfer pädosexueller Gewalt. Gegenwärtig. Mir ist aber nichts von sieben Millionen therapiebereiter Täter bekannt.

• Edathy erinnert mich mit seiner furchtbaren Selbstsüchtigkeit – alle Pädosexuellen zeichnet sehr offenbar ein hohes Maß an Narzissmus aus, entsprechende Untersuchungen belegen das – Edathy erinnert mich also in seinem Täuschen, Leugnen und Lügen an Gerold Becker, den langjährigen Haupttäter an der Odenwaldschule. Der wurde einmal gefragt: Man habe gehört, er missbrauche Kinder – seine Antwort: eine Frage. Traust du mir das zu?

• Edathy: ich bin kein Pädophiler. Ich habe meinen Rechner im Zug gestohlen bekommen. Ich bin ein Verfemter. Usw. (Im Zug wurden laut Aussage der Bundespolizei in den letzten fünf Jahren vier Rechner als gestohlen gemeldet!)

• Zusammen mit dem sehr geschätzten UBSKM, Herrn Rörig, fordern wir dringend: eine unabhängige Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, entsprechende parlamentarische Unterstützung dafür, finanzielle Mittel in ausreichendem Maße für Opferhilfsmaßnahmen, eine Aufdeckung der den Missbrauch begünstigenden gesellschaftlichen Strukturen – analog zur jetzt an der Odenwaldschule in Auftrag gegebenen Untersuchung –, immer wieder eine sensible Anhörung und Beteiligung von Opfern, eine Aufarbeitung der Vergangenheit in DDR und BRD, insbesondere und sehr wichtig, ein Hinschauen auf die Täterbegünstigungen im sog. familiären Nahbereich – wo bei weitem die meisten Betroffenen zu verzeichnen sind. Wir sprechen immer noch von sieben bis neun Millionen Betroffenen und damit Opfern von sexuellem Kindesmissbrauch. Sie alle leben – mehr oder weniger glücklich, mehr oder weniger hilfebedürftig – unter und mit uns.

Adrian Koerfer

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