Zur Preisvergabe des Theodor-Heuss-Preises an Daniel Cohn-Bendit am 20. April 2012 in Stuttgart

Der Vorstand des Vereins Glasbrechen e.V., die ehemalige Leiterin der Odenwaldschule, Margarita Kaufmann, und die beiden von ihr 2010 mit der Aufklärung der Verbrechen an der Internatsschule beauftragten Juristinnen, Brigitte Tilmann und Claudia Burgsmüller, möchten mit diesem Schreiben ihre Empörung ausdrücken über das Festhalten der Theodor-Heuss-Stiftung an ihrem Vorhaben, Daniel Cohn-Bendit am 20. April 2013 den Theodor-Heuss-Preis zu überreichen.

Wir gehen davon aus, dass die Verantwortungsträger der Theodor-Heuss-Stiftung ihre Entscheidungen der Preisverleihung stets im Vorfeld eingehend prüfen. Umso mehr stellen sich uns einige Fragen, auf die wir auch in ihren zahlreichen Stellungnahmen keine Antworten gefunden haben:

Im Jahr 2012 erhielt Wolfgang Edelstein, Studienleiter und Verantwortungsträger an der Odenwaldschule, die Auszeichnung der Theodor-Heuss-Stiftung.

Ein Jahr später, also 2013, soll dessen ehemaliger (Vorzeige-)Schüler, Daniel Cohn-Bendit denselben Preis erhalten.

Im Kuratorium der Stiftung sitzt Wolfgang Harder, ehemaliger Schulleiter der Odenwaldschule und direkter Nachfolger Gerold Beckers, dessen Beitrag zur Aufklärung des jahrzehntelangen Missbrauchs an „seiner Schule“ wesentlich darin bestand, die Wogen nach 1998 möglichst schnell zu glätten und einen Mantel des Schweigens auch über die Tatsache zu legen, dass während seiner Amtszeit der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen munter weiterging.

Im Vorstand der Theodor-Heuss-Stiftung sitzt auch Christian Petry, langjähriger Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung und seit 2010 deren Kuratoriumsmitglied. Dessen Frau, die Psychologin Benita Daublebsky, war unter Gerold Becker Mitarbeiterin der Odenwaldschule und jahrelanges Vorstandsmitglied der Odenwaldschule. Immer wieder war Gerold Becker bei Familie Petry-Daublebsky zu Gast.

Die Freudenberg-Stiftung zählt zu den wichtigsten Unterstützern der Theodor-Heuss-Stiftung. Ihr Vorsitzender, Hermann Freudenberg, war zudem während der Amtszeit des Schulleiters Gerold Becker Vorstandsvorsitzender des Odenwaldschule e.V.

Alle genannten Personen wussten um die „dunklen Seiten“ des Schulleiters Gerold Becker und haben ihn und die Mittäter an der Odenwaldschule gewähren lassen.

Da stellt sich die Frage: Was hat die Verantwortungsträger, auch die, die mit der Odenwaldschule verbunden sind und waren, zu ihrer Entscheidung bewogen?

Auszeichnungen ehren gemeinhin das Lebenswerk einer Person und sind von Seiten der Preisstifter stets das Ergebnis einer umfassenden Auseinandersetzung mit Leben und Wirken der in Frage stehenden Person. Dabei werden nicht nur biographische Daten kritisch betrachtet, sondern die Persönlichkeit des zu Ehrenden und sein gesellschaftliches Engagement. „Mildernde Umstände“ gegenüber möglichen Irrtümern in der Vergangenheit bleiben da stets als dunkle Flecken stehen und werden nicht selten zum Anlass letztlich von der Preisvergabe abzusehen.

Es stellt sich hier nun die Frage, warum dies bei Daniel Cohn-Bendit nicht geschah?

Kann eine spätere Relativierung von Auslassungen in einer (immer wieder zitierten) Publikation ausreichen, um deren Bedeutung auszulöschen?

Wir sagen: Nein!

Ist der ein Vorbild „demokratischen Verhaltens und freiheitlicher Gestaltung des Zusammenlebens“, der folgendes schreibt? „Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme. Ich habe sie gefragt: ‚Warum spielt ihr nicht
untereinander, warum habt ihr mich ausgewählt und nicht andere
Kinder?‘ Wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.“ (Cohn-Bendit 1975 in: „Der große Basar“)

Wir sagen: Nein!

Und sieben Jahre später, 1982, bringt der dann bereits 37jährige, in Politik und Gesellschaft Verantwortung Tragende seine Begeisterung über das „wahnsinnig erotische Spiel“ mit einer Fünfjährigen in einem Film zum Ausdruck.

Ist dieser Beschreiber der „freien Sexualität mit Kindern“ einer jener Preisträger, die nach dem Wunsch der Theodor-Heuss-Stiftung zu einer „demokratischen Zeitansage“ werden soll?

Wir sagen: Nein!

Es ist nicht unsere Intention, Cohn-Bendit Pädophilie nachzuweisen.

Aber wir stellen die Frage, wie sich die Verantwortungsträger der Theodor-Heuss-Stiftung und der baden-württembergische Ministerpräsident erklären, dass ein erwachsener Mann und Politiker sich öffentlich päderastischen Gedankenspielen hingibt?

Und wir stellen die Frage, was den französischen Staat bewog, Cohn-Bendit die französische Staatsbürgerschaft wegen seiner Lebensführung zu verweigern, da diese nicht „den guten Sitten“ entspräche.

Und wir stellen die Frage, warum sich Cohn-Bendit bei den potentiellen Opfern der Kinderladen-Zeit nachträglich entschuldigt hat?

Und wir stellen die Frage, wie ein verantwortungsvoller Politiker und engagierter Neudenker der Demokratie, als welchen die Jury Cohn-Bendit sieht, in der Redaktion einer Tageszeitung ein- und ausgehen und mit deren Verantwortungsträgern befreundet sein kann, die in einen heftigen Skandal um sexuellen Missbrauch verwickelt war und ihre öffentliche Forderung der Legalisierung des Geschlechtsverkehrs mit Kindern in den 70 und 80er Jahren auch nach nachträglich rechtfertigt? (Über die Tageszeitung La Libération 2005: „Il y en a une, principalement, qui nous reste en travers de la gorge, le soutien ouvert à la pédophilie dans les années 70-80.“).

Wir stellen fest: Die Vergabe des Preises der Theodor-Heuss-Stiftung an Daniel Cohn-Bendit ist zum einen ein Affront gegen alle Opfer sexuellen Missbrauchs, zum zweiten eine nachträgliche Bagatellisierung der pädophilen Aussagen eines Politikers und zum dritten ein Zeichen mangelnder Sensibilität all der Personen in der Theodor-Heuss-Stiftung, die direkt oder indirekt mit der Odenwaldschule zu tun hatten.

Und wir stellen fest, dass die Theodor-Heuss-Stiftung und auch die Partei der Grünen mit zweierlei Maß misst. Denn wäre der in redende stehende EU-Politiker ein um die Öffnung der Kirche verdienter katholischer Priester, der öffentlich von seinen „Jugendsünden“ Abstand nimmt, er wäre noch von der Vorschlagsliste gestrichen worden, bevor sein Name je öffentlich geworden wäre.

Wir fordern die Theodor-Heuss-Stiftung und den baden-württembergischen Ministerpräsidenten auf, von der Vergabe des Preises an Daniel Cohn-Bendit Abstand zu nehmen.

Vorstand und Beirat Glasbrechen e.V.
Margarita Kaufmann
Brigitte Tilmann
Claudia Burgsmüller

(Dieses Schreiben ist am heutigen Mittwoch an die Fraktionen des Baden-Württembergischen Landtag und an die Theodor-Heuss-Stiftung geschickt worden)

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