Macht Schluss damit

Wieder Lügen, wieder Beschönigungen, wenn es um Missbrauch an der Odenwaldschule geht. Nein, sie können es nicht.
Von Adrian Koerfer

Nein –

ich will den gegenwärtigen Schülern der Odenwaldschule nicht ihre Schule wegnehmen, und doch, ich wollte sie jederzeit davor schützen, ähnliches oder gleiches erfahren zu müssen, ähnliches oder gleiches dessen, was mir und vielen hunderten anderen an der Odenwaldschule passiert ist.

Nein – ich hielt unser Tun über fünf Jahre lang nicht für überflüssig, ich hielt es für wichtig und hilfreich,  und doch, wenn ich aktuelle Meldungen der Schule, meiner ehemaligen Schule lese, und aktuelle Meinungen der gegenwärtigen Elternverteter auch – kommt eine sehr grosse Trauer über mich.  Und ein großer Zorn. Eine große Wut.

Nein – es ist kein Rechthabenwollen, und es ist das Gegenteil von Glück, wenn ich feststellen muss, dass unsere Warnungen in den Wind geschrieben wurden, über viele Jahre hinweg, wenn ich konstatiere, dass man uns Opfer – und mich Opfervertreter – weder ernst noch wahr genommen hat an dieser schrecklichen Schule, und es ist das Gegenteil von Glück, wenn ich heute sagen muss: Vergesst es. Vergesst es, Ihr könnt es nicht.

Nein – ich glaube nicht mehr an Selbstheilungskräfte, ich glaube auch nicht an die Macht des wieder relativ neuen Leiters der Odenwaldschule, gegenüber den alten Kräften, ich glaube nicht an das sog. „Drei-Säulen-Modell“, ich glaube nicht an das sog. „Vier-Augen-Prinzip“, ich glaube nicht an die „Häuser-Teams“. Ich weiss einzig und nur wovon ich spreche und hier schreibe. Und ich weiss sehr genau, weshalb wir (Glasbrechen e.V.) seit Jahren von außen vor den immer noch möglichen Gefahren des Sytems, der immanenten Gefahr des Systems OWS warnten.

Nein – es ist kein Spaß und kein Vergnügen, aus eigener Erfahrung immerzu wieder berichten zu müssen, ständig und überall seit Jahren über mein damaliges Opfersein an der OWS sprechen zu müssen, wo immer ich bin. Und zu hören: soo schlecht ist die Schule doch gar nicht. Sie hilft doch Schülern, die es anderswo schwerer hätten, zum Beispiel.

Nein – diese Schule hilft niemandem mehr. Sie kann niemandem mehr helfen, denn sie nimmt allesamt in ihre schreckliche Verantwortung, sie verpflichtet die gegenwärtigen Schüler auf ihr Schicksal, (und zur Rettung der Schule), sie hat ihre Lehrer und Mitarbeiter (auch heutige noch mit Aussagen auf meinem Rechner schwer belastet – aber keine Sorge, es ist alles verjährt), sie hat also ihre Lehrer und Mitarbeiter im Würgegriff, und jetzt auch noch diese sorglosen sog. gegenwärtigen Elternvertreter.

Nein – ich kann es nicht fassen. Ja, ich selbst habe meine Tochter – auf ihren eigenen Wunsch hin übrigens – und weil ich 2005 noch von sieben bis zehn Missbrauchsfällen ausgehen durfte, ich habe meine eigene Tochter auf diese Schule geschickt. Ich dachte damals, Mädchen seien nicht betroffen vom Kindesmissbrauch an der Odenwaldschule, und es seien nur wenige Jungen gewesen.

Nein – wenn ich heute gefragt würde, mit all dem was ich jetzt weiß, was mir immerzu noch und ständig berichtet wurde und wird, wenn ich beispielsweise die stumpfdösigen Verlautbarungen der OWS lesen muss, der aktuellen sog. Elternvertreter, der sog. Präventionsbeauftragten, der sog. Pressesprecherin,  – wenn ich die schweigende Mehrheit im Trägerverein mir anschauen muss, ja, dann wünschte ich tatsächlich, mir wäre damals nicht ständig das Schlimmste passiert. Und ich müsste heute nicht  immer noch gegen pädosexuelle Gewalt und Vergewaltigung anschreiben.

Nein – mit Ausnahme des Landrates des Kreises Bergstrasse, Matthias Wilkes und des MdL Marcus Bocklet (Die Grünen) hat noch keine verantwortliche Autorität mit uns gesprochen. Kein Schulamt, niemand aus dem Sozialministerium, aus dem Kultusministerium, kein Mitarbeiter der OWS, niemand hat uns nach unserer Expertise gefragt, hat darum gebeten, sich mittels unseres Wissens fortbilden oder sachkundig machen zu können. Alle, allesamt wollen sie bloß nicht wissen, was sie ahnen.

Nein – ich ertrage die Lügen dieser furchtbaren Schule nicht mehr. Ich will sie nicht mehr ertragen müssen. Die immergleiche Propaganda! Das Geplapper von der „sichersten Schule Deutschlands“. Die Utopie von dem Funktionieren eines „Vier-Augen-Prinzips“!

Als seien die sog. „Häuser-Teams“ ständig zum Schutz der dortigen Kinder unterwegs!

Als hatte die sog. Präventions-Beauftragte der Schule jemals etwas anderes im Sinn, als die von ihr so sehr geliebte Schule zu retten.

Ja. Das ist die Wahrheit. So sieht die Wahrheit in Sachen Odenwaldschule aus. Und auf meinem Rechner befinden sich hunderte weitere entsetzliche Geschichten, mindestens hundert. Nur – wieder behauptet die Staatsanwaltschaft Darmstadt, so wie vor dreißig, vierzig Jahren schon: „Die Hinweise auf sexuellen Missbrauch seien vage. Sie stammten nicht von angeblich betroffenen Schülern, sondern von Mitschülern.“ Diese sollen beobachtet haben, dass „der Lehrer Schüler in seiner Wohnung übernachten ließ“. Übernachten ließ? Barmherzig? Hatte er sie zuvor auf der Straße aufgelesen?

Nein – diese kalte Sprache ist Ausdruck eines empathielosen Bewussteins! Diese Sprache ist decouvrierend, sie tut weh. Es ist die Sprache der Grausamkeit der Behörden. Es ist die Sprache des Unwissens. Und die Lügen der Schule? Beschönigen wie immer: „… betreute keine Wohngruppe… Hatte keinen direkten Zugang … Keine Schüler involviert … Einzelfall … Prävention … Intervention … “

Nein – kein Wort des Mitgefühls gegenüber den mutigen, selbstlosen, betroffenen Schülern. Jenen Schülern, Jugendlichen, Kindern gegenüber, die es – aufgemerkt! – im Sommer letzten Jahres schon wagten, Auffälligkeiten zu melden. Wem gegenüber eigentlich? Der Schulleiterin der letzten Jahre? Dem Internatsleiter? Der „Präventionsbeauftragten des Trägervereins“? Wer wurde darauf hin unterrichtet?

Wer wusste seit mindestens einem Jahr von dem Verhalten des Lehrers, wer stellte ihn „unter Beobachtung“, wer deckte die immergleiche, grauschwarze Decke des Schweigens darüber? Wer ist an dieser Schule für dieses erneute Vertuschen schliesslich und endlich verantwortlich?

Eine Antwort darauf gibt es nicht. Und Nein: eben auch kein Wort des Bedauerns.

Fehlanzeige.

Also: Schluss damit.

 

(erschienen in der Frankfurter Rundschau am 3.5.2014, S. 10)

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