Als Hartmut von Hentig im vergangenen Jahr einen weiteren Band seiner Autobiographie vorstellte, waren wir schockiert: Der nun schon Jahre währende Abstand zu den Enthüllungen über das pädosexuell-verbrecherische Treiben seines Lebenspartners Gerold Becker hatte in dem greisen Guru der deutschen Reformpädagogik zu keinem Umdenken geführt. Schuld an dem weit über hundertfachen Missbrauch minderjähriger Odenwaldschüler waren immer noch nicht der Schulleiter Becker und seine Mittäter, sondern weiterhin die Opfer. Kein Wort des Mitleids, keinerlei Empatie, kein Hauch des Entsetzens, kein Gedanke an mögliches eigenes Versagen fanden sich in dem vom Wamiki-Verlag publizierten 1.000 Seiten Wälzer „Noch immer mein Leben“.
Wir von Glasbrechen hatten sofort und scharf reagiert. Von den professionellen Apologeten der Reformpädagogik und leider auch von einigen Altschülern, die am unbefleckten Bild „ihrer“ Oso allen Fakten zum Trotz bewahren wollten, bekamen wir deshalb heftigen Gegenwind.
Offen gestanden: Das Warten darauf, dass der Groschen fällt, kann enervierend sein. Aber wenn es dann endlich so weit ist…
… dann freuen wir uns, dass der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE) unsere Einschätzung teilt und Hartmut von Hentig den ihm 1998 verliehenen Ernst-Christian-Trapp-Preis aberkannt hat. Und zwar, wie es in der schriftlichen Begründung heißt, weil „die Auseinandersetzung von Hentigs mit den Gewalterfahrungen, die viele Schüler nachweislich an der Odenwaldschule machen musste, den berechtigten Anliegen der Opfer in keiner Weise gerecht wird und dass die Unterstützung der Opfer im Zweifelsfall höher zu gewichten ist als die Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen.“
Wir wünschen uns, dass der Groschen der Einsicht nun möglichst rasch auch bei anderen pädagogischen und staatlichen Organisationen und Institutionen fällt!
Johannes von Dohnanyi für den Vorstand von Glasbrechen