Frankfurter Rundschau-Interview mit Adrian Koerfer

Herr Koerfer, Sie haben  noch vor zwei Jahren gefordert, dass sich die Odenwald-Schule neu aufstellen muss, am besten auf dem Wege einer geordneten Insolvenz. Wie sehen Sie heute den Neuanfang?

Aus Opfersicht gab es unter dem kontaminierenden Regiment der Frau Prof. Dr. Höhmann nicht den zartesten Hauch eines Neuanfangs, auch die von ihr so gerne gewollte „Stunde Null“ hat niemals stattgefunden. Die von Höhmann fatalerweise immer wieder gemachte Unterscheidung zwischen damaliger Odenwaldschule und heutiger Odenwaldschule ist frech und grundlos gemacht worden. Glasbrechen e.V. hat in letzten Gesprächen mit der neuen Schulleitung wie mit dem relativ neuen Vorstand des Trägervereins um die Tilgung dieser begrifflichen Schönfärberei gebeten. Immer noch unterrichten belastete Lehrer an der Schule!  Und: aus einer verfaulten Wurzel wird nie und nimmer wieder eine schöne Pflanze. Da müsste dann vorher schon ganze Arbeit geleistet werden. Frau Höhmann als Apologetin von Hentig und Becker war dazu leider vollkommen ungeeignet.

Es gab  Diskussionen über Opferzahlen und den Weg der Entschädigung über die von der Schule gegründete Stiftung. Sind die Differenzen jetzt ausgeräumt?

Glasbrechen hat in langwierigen, oft schwierigen und mühsamen Verhandlungen, mit Unterstützung des RAs Michael Frenzel (Langenselbold) und des MdL Marcus Bocklet (Bündnis 90 / Die Grünen) eine Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit von Anerkennungszahlungen auf der anderen Seite erreichen können. Inzwischen, nach dreieinhalb Jahren zäher Arbeit und mit Hilfe der beiden „Aufklärerinnen der ersten Stunde“, Oberlandesgerichtspräsidentin a.D. Brigitte Tilmann und RAin Claudia Burgsmüller, ist eine Atmosphäre des Vertrauens entstanden, die hilfreich für weitere Verhandlungen sein kann. Ein Punkt aus den Vereinbarungen mit der Schule und damit auch der Stiftung ist allerdings noch vollkommen offen: es geht hier um nachhaltige Unterstützung unseres Vereins, so dass wir einigen der uns bekannten Opfern dauerhaft über Jahre hinweg helfen könnten.  Das wäre wichtig.

Wie viele Opfer wurden entschädigt?

Nach meiner Kenntnis wurden bis heute alle von uns benannten Opfer mit Anerkennungszahlungen in unterschiedlicher Höhe seitens der Stiftung „bedacht“. Zwei Anträge sind aktuell im Verfahren drin. Allerdings sind seit 2010 auch schon wieder Opfer in ihren relativ jungen Jahren verstorben.

Ist mit 132 Fällen, die in einem Bericht dokumentiert sind, das Ausmaß des Missbrauchs erfasst, oder melden sich noch immer weitere Opfer bei Ihrem Verein?

Bei uns melden sich pro Vierteljahr seit 2010 jeweils ein bis zwei weitere Opfer, die allerdings aus den unterschiedlichsten Gründern nicht alle Zahlungen seitens der Schule einfordern. Das gilt ebenso für einige der schon früher bekannten Überlebenden des massenhaften pädosexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule. Wir gehen nach wie vor von einer Gesamtopferzahl um die 500 aus. Das älteste uns jetzt bekannte Opfer ist über 88 Jahre alt.

Die neue Schulleitung sucht das Gespräch mit dem Verein „Glasbrechen“. Was muss jetzt von Seiten der Schule auf dem Weg zu einer Versöhnung mit den Opfern noch getan werden?

Die Odenwaldschule hat mit der Ernennung des neuen Schulleiters, Herrn Dr. Däschler-Seiler und der neuen Heimleiterin, Frau Volkmer, die Chance erhalten, endlich zu begreifen, dass sie mit ihrer belasteten päderastischen Vergangenheit leben muss. Dieses Leitungsteam gibt uns begründeten Anlass zu Hoffnungen. Es wird endlich mit uns gesprochen, und – es wird uns endlich sorgfältig zugehört. Eine Zusammenarbeit mit der Schule in Sachen Vergangenheitsbewältigung und Prävention erscheint uns heute erstmals denkbar. Wir sehen Licht am Horizont.

Welche Zukunft wünschen Sie sich für die Odenwaldschule?

Werde, die du bist – in dem du lernst, lernst aus der Vergangenheit, für deine Zukunft.

(Die Fragen stellte Regine Seipel)

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